|
Über wie viel Intelligenz verfügen Computer
im Vergleich zum menschlichem Gehirn?
So viel wie ein Insekt. Computer sind, zwar schon
heute viel einflussreicher, als man sich das meist vorstellt.
Beispielsweise werden bereits fünf Prozent
des 22 Billionen Dollar schweren amerikanischen Aktienmarkts
von intelligenter Software gemanagt. Aber insgesamt
entsprechen die Informationsverarbeitungs-Kapazitäten
eines Durchschnittscomputers im Jahr 1999 noch denen
einer Fliege.
Das wird sich rasch ändern, sagen Sie.
Die Leistungsfähigkeit eines Computers verdoppelt
sich gegenwärtig fast jährlich. So wird ein PC im
Jahr 2019 etwa dieselbe rechnerische Potenz
haben wie ein menschliches Gehirn. Er wird also in der Lage
sein, pro Sekunde 20 Millionen Milliarden Berechnungen
durchführen.
Macht ihn das intelligent ?
Rechenkapazität ist eine notwendige, aber nicht
hinreichende Voraussetzung, um menschlichen Verstand zu
besitzen. Zusätzlich benötigen wir Software.
im Jahr 2030 werden wir so viel Software-Intelligenz haben, dass
Computer und andere nichtbiologische Wesen so intelligent
sind wie Menschen.
Und am Ende des nächsten Jahrhunderts?
Sobald Computer die Finesse, den Scharfsinn, die
Tiefgründigkeit, den Wissensumfang und die Fähigkeit
haben, komplexe Zusammenhänge und Emotionen
zu fühlen und zu verstehen - alles Dinge, die uns
Menschen heute noch überlegen machen -, werden
sie sehr schnell noch sehr viel intelligenter werden als
jedes menschliche Wesen. Und zwar aus drei Gründen:
Erstens können Computer ihr Wissen problemlos
untereinander austauschen, zweitens arbeiten sie
wesentlich schneller als das menschliche Hirn, und
drittens ist ihr Gedächtnis präziser als
bei uns.
Die Maschinen übernehmen die Macht?
Es geht hier um keine Invasion aus der Ferne des
Weltalls! All dies entsteht aus der Mitte unserer Zivilisation
heraus. Mensch und Maschine werden verschmelzen.
Sie werden eins.
Wollen Sie etwa sagen, dass es am Ende des nächsten
Jahrhunderts keine Unterscheidung zwischen
Mensch und Maschine gibt ?
Wir werden eine ganze Reihe von Kombinationen zwischen
Mensch und Maschine haben. Computer werden
so klein sein, dass sie innerhalb unseres Körpers
und unseres Gehirns existieren können. Menschen werden
ihre Organe und ihren Geist mit nichtbiologischer
Intelligenz aufrüsten und vervollkommnen. Kleinstcomputer
von der Größe einer Zelle werden unsere
Gehirnfunktion verbessern. Und weil Maschinenintelligenz
exponentiell zunimmt, menschliche aber weitgehend
gleich bleibt, wird der nichtbiologische Teil unseres
Verstands auf Dauer dominieren. Wir werden Maschinenwesen
haben, die ganz und gar nichtbiologisch sind,
aber auf einer genauen Kopie des menschlichen Hirns
beruhen. Sie werden absolut menschlich wirken,
menschliche Persönlichkeiten und menschliche
Reaktionen haben.
Das klingt nach dem Ende der Evolution.
Absolut nicht. Dies ist die nächste Stufe der
Evolution. Die biologische Evolution ist am Ende, aber men-
schliche Intelligenz wird sich weiterentwickeln
- jetzt allerdings auf der Basis der technologischen Evolution.
Gegenwärtig können Computer nicht einmal
zwischen Katze und Hund unterscheiden, geschweige denn
logisch denken. Und diese Maschinen sollen
unsere Partner werden ? Was macht Sie da so sicher ?
Das Gesetz vom steigenden Ertragszuwachs. Evolution
geht im Laufe der Zeit immer schneller vonstatten.
Die technologische Evolution ist dafür ein
gutes Beispiel, inzwischen erleben wir alle paar Jahre einen neuen
Paradigmenwechsel. Zum rasanten, exponentiellen
Wachstum der Leistungskraft von Computern kommt die
Tatsache, dass Technologie immer kleiner wird. Aus
beidem können wir ableiten, wo wir im Jahr 2020 stehe
werden. Außerdem werden wir so genannte Nanobots
haben, kleine Computer, die wir durch den Blutkreis-
lauf in unser Gehirn schicken, wo sie alles abtasten,
Synapse für Synapse, Neurotransmitterfür Neurotrans-
mitter. Damit sind wir dann in der Lage, ein menschliches
Hirn genau zu kopieren. In ihren Grundzügen
existierenall diese Technologien bereits.
Die Kopie des menschlichen Gehirns wird dann heruntergeladen in einen Computer?
Genau. Der Computer wird zu einem hundertprozentigen
Abbild meines Gehirns. Und das neue Wesen wird
sich soverhalten wie ich. Es wird meine Persönlichkeit,
mein Wissen, meine Erinnerungen und Fähigkeiten
haben.
Moment mal - auch meine Emotionen, meine Gefühle von Trauer, Wut oder Liebe ?
Das Wesen Ray Kurzweil hat Emotionen und kann logisch
denken. Dies sind keine mystischen Qualitäten,
sondern Resultate von Informationsprozessen in meinem
Gehirn. Eine Kopie bildet genau dieselben
Prozesse ab.
Wie wird die Kommunikation mit anderen Menschencomputern ablaufen?
Eine ganz wichtige Anwendung der Nanobot-Technologie
ist virtuelle Realität. Wir werden Milliarden Neuronen
in unser Gehirn schicken, die sich an jedem einzelnen,
von unseren Sinnesorganen herkommenden
Nervenstrang festsetzen. Wenn wir reale Realität
erleben wollen, dann halten die Nanobots still. Für das
Erlebnis virtueller Realität unterbrechen sie
die Zufuhr realer Reize und setzen künstliche Signale an ihre Stelle.
Können wir das Umschalten steuern ?
Sie werden die Nanobots mental kontrollieren können.
Also: Mein realer Arm wird sich nicht bewegen,
obwohl alle meine Sinneswahrnehmungen darauf hindeuten.
In dieser virtuellen Welt kann ich mich auch
mit anderen Leuten treffen. Wir könnten diese
Diskussion in einem Café in Hamburg haben.
Und ich soll mich genauso daran erinnern wie an unsere Begegnung hier in Boston ?
Aber ja! Im nächsten Jahrhundert wird das World
Wide Web aus virtuellen Begegnungsstätten bestehen,
die genauso real sind wie jeder reale Ort der Welt.
Die Reiseindustrie wird das nicht goutieren.
Sie werden in die Website von Sankt Moritz eintauchen,
Ski fahren und den kalten Wind auf Ihrer Haut spüren.
Sie werden über einen Strand am Mittelmeer
laufen und den heißen Sand unter Ihren Füssen fühlen.
Und ich werde endlich Sex mit der Frau meines Nachbarn haben.
Sie werden eine virtuelle Person kreieren, die so
aussieht wie Ihre Nachbarin. Auf Dauer macht es dann
sowieso nichts mehr aus, ob die andere Person virtuell
oder real ist.
Welchen Einfluss hat diese Entwicklung auf die Arbeit?
Die Natur unserer Arbeit verändert sich schon
jetzt. Der Bedarf an körperlichen, einfachen Arbeiten sinkt.
Neue Jobs werden überwiegend am oberen Ende
der Wissensskala geschaffen. Dieser Trend wird sich
beschleunigen. Arbeit wird immer mehr darin bestehen,
neues Wissen zu schaffen.
Das gilt ja wohl höchstens für das obere
Drittel der Bevölkerung in Industrieländern!
Es wird immer weniger so genannte "niedere" Arbeiten
geben ...
Keine Hausmeister mehr, keine Sekretärinnen, Kellner, Taxifahrer, Kassiererinnen?
Schauen Sie sich die Beschäftigungsstatistiken
an. Sie werden sehen, dass fast überall immer mehr
Wissen verlangt wird. Die Bildungsausgaben hier
in Amerika haben sich in den letzten 100 Jahren
verzehnfacht. Im nächsten Jahrhundert
wird ein Punkt erreicht werden, an dem die Fähigkeiten eines
Durchschnittsmenschen nicht mehr ausreichen. Wer
dann am Wirtschaftsleben teilnehmen will, wird
sein Gehirn mit künstlicher Intelligenz aufrüsten
müssen. Gleichzeitig brauchen wir aber keine Angst
zu haben, dass nicht für uns gesorgt wird.
Ich sage anhaltendes Wirtschaftswachstum voraus. Damit
können die Grundbedürfnisse der menschlichen
Rasse vollauf befriedigt werden.
Ihr Optimismus in Ehren, aber es ist natürlich
leicht, solche Dinge vorauszusagen, wenn man selber
nicht mehr erleben wird, ob all diese Prognosen
eintreten.
Oh, ich hoffe durchaus, noch dabei zu sein. In etwa
zehn Jahren wird die Biotechnologie in der Lage
sein, die menschliche Lebenserwartung jährlich
um ein Jahr zu verlängern. Später ermöglicht uns
die Nanotechnologie dann, Organe und Körperteile
Molekül für Molekül zu reparieren und neu
zusammen- zubauen. Damit sind der Lebenserwartung
praktisch keine Grenzen mehr gesetzt.
Wie langweilig: In Zukunft ist für alles
gesorgt, ich kann mir jeden Wunsch erfüllen, und sterben
muss ich auch nicht mehr.
Nein, alle Ihre Wünsche werden auch zukünftig
nicht in Erfüllung gehen. Wir werden ganz neue
Träume haben und weiterhin frustriert sein
über all das, was wir nicht können. Aber eine praktisch
grenzenlose Intelligenz wird auch unsere Kreativität
vergrößern. Wir werden Besseres, Schöneres
erschaffen. Das ist doch wohl das Gegenteil von
Langerweile.
Und was ist mit den Gefahren? Ihre Nanobots könnten sich gegen uns verschwören.
Ich male hier kein Utopia an die Wand. Um Nanobots
sinnvoll einsetzen zu können, brauchen wir
Billionen von ihnen. Dafür müssen sie
sich selbst vermehren können, genauso, wie sich Zellen
durch Teilung vermehren. Zellen ist normalerweise
einprogrammiert, wann sie damit aufhören
müssen, damit nicht aus Wachstum Krebs wird.
Ähnliches könnte auch bei den Nanobots passieren.
Aber so ist das doch mit jeder neuen Technik. Die
Biotechnologie bringt uns einerseits Riesenfortschritte
bei der Bekämpfung von Krebs oder Aids; andererseits
könnten mit ihrer Hilfe in jedem kleineren
Laboratorium Patogene entwickelt werden, die mehr
Zerstörungskraft haben als eine Atombombe.
Anders als die biologische Evolution ist aber die
technologische Evolution kein quasi automatischer,
geistloser und unbeseelter Prozess. Menschliche
Intelligenz, menschlicher Geist geben ihr Richtung.
Unsere Verantwortung besteht darin, diese Evolution
in konstruktive Bahnen zu lenken.
Dafür besteht aber doch keine Chance mehr, wenn Maschinen irgendwann intelligenter sind als wir!
Die Möglichkeit existiert, dass es Maschinen-
Renegaten geben wird, die sich der Kontrolle der
menschlichen Zivilisation entziehen und zerstörerisch
agieren. Aber noch einmal: Maschinen wird
man nicht mehr getrennt vom Menschen sehen können.
Kooperation wird die Regel sein. Um
diese zu gewährleisten, benötigen wir
dann aber zumindest eine Techno-Elite, eine Prätorianergarde,
High- Tech-Hohepriester, die den großen Rest
der überwiegend "dümmeren" Menschen lenkt und
kontrolliert. Eine wirkliche Privatsphäre haben
wir überdies wohl auch nicht mehr, wenn sich jeder
bei jedem einklinken kann.
Bewegt sich Technologie nicht gerade in jüngster Zeit weg von zentraler Kontrolle?
Computertechnik ist mit dem Internet doch im Gegenteil
hochgradig dezentralisiert. So etwas
muss auch in Zukunft sichergestellt werden. Was
den Datenschutz angeht: Das wird eines der
wichtigsten Themen der nächsten Jahrzehnte
sein. Natürlich ist es prinzipiell möglich, dass
irgendjemand Billionen Nanobots ausschickt, die
in den Gehirnen der Menschen spionieren
und sie beeinflussen könnten. Nur ständig
bessere Methoden der Verschlüsselung, die sich
in der Hand jedes einzelnen Inviduums befinden,
werden dem entgegenwirken.
Mal ganz grundsätzlich gefragt: Warum eigentlich
sollte sich die menschliche Rasse wissentlich
auf diesen Weg begeben? Auf einen Weg immerhin,
auf dem wir den uns von der natürlichen
Evolution - manche würden sagen: von Gott -
gegebenen Körper und Geist einfach aufgeben.
Ich glaube nicht, dass wir eine Wahl haben. Einmal
liegt dies in der Natur von Auslese und
ökonomischen Wettbewerb. Zum anderen in der
Natur von Technologie. Seit wir Menschen
Technologie nutzen, schaffen wir uns die Welt neu.
Das ist wie ein vorgezeichneter Pfad und
wird immer so weitergehen.
Wir werden Software, heruntergeladen in ein Maschinenwesen, in dem wir dann bewusst existieren?
Ob ein Maschinenwesen dasselbe "Bewusstsein" haben
wird wie das ihm zugrunde liegende
menschliche Original, das wird eine der großen
philosophischen Fragen des 21. Jahrhunderts sein.
Wir werden das Problem in ganz praktischer Weise
lösen müssen, weil diese nicht biologischen
Wesen überzeugend darlegen werden, dass sie
Bewusstsein, Ratio und Emotionen haben. Software
ist nichts anderes als ein komplexes Muster von
Informationen. Das sind auch wir Menschen.
Das Einzige, was uns dann noch umbringen kann,
ist ein Software-Virus?
Heute sterben wir, wenn unsere Hardware zusammenbricht.
Wir werden an einen kommen, an dem
das Überleben unserer "mind-file" nicht mehr
von der Hardware abhängt. Andererseits muss Software
ständig erneuert, gepflegt und instand gehalten
werden, um in sich verändernden Systemen weiter
existieren zu können. Gepflegt wird Software
aber nur, wenn sie einen Wert hat. Ohne Wert wird sie
obsolet, stürzt ab und stirbt.
Ist das eine Vorausschau auf den Tod im Jahre 2089?
Ist das so anders als heute? Einige Menschen haben
keine Lust mehr aufs Leben, sie verfallen und
sterben. Andere wollen leben, sie achten auf sich
und leben länger. Wenn Software, ob nun Menschen-
Software oder Computer-Software, Air einen selbst
keinen Wert mehr hat - dann ist das der Tod.
Ray Kurzweil
, 51 Jahre alt, ist Sohn jüdischer Immigranten
aus Wien. Seit seinem Studium der
Computerwissenschaften und Literatur am MIT (Massachusetts
Institute of Technology) arbeitet
er als Wissenschaftler, erfolgreicher Unternehmer
und Erfinder, etwa von Lesemaschinen für Blinde,
Spracherkennungssystemen oder einer Maschine,
die während des Telefonierens zeitgleich
vom Englischen ins Deutsche übersetzen kann.
Das "Wall Street Journal" bezeichnete Kurzweil als
"ruheloses Genie"
Weiterführende Literatur:
Ray Kurzweil
Homo s@piens
Leben im 21. Jahrhundert - was bleibt vom
Menschen?
Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 3-462-02741-7
|